Heft 12

Demenz und Medien

Heftverantwortung:  Anja Hartung-Griemberg, Bernd Schorb & Dirk Medebach



Die Angst vor dem Vergessen ist eine der großen existentiellen Ängste des Menschen. Sie ist eine Angst, die sich nicht zuletzt im Krankheitsbild der Demenz konkretisiert. In den Medien wird diese Schattenseite des langen Lebens längst exponiert diskutiert. Vor allem die sozialpolitischen, ökonomischen und zivilgesellschaftlichen Herausforderungen, die sich nicht zuletzt durch den anhaltenden Mangel an Pflegekräften und der wachsenden Löcher in den Renten-, Gesundheits oder Pflegekassen stellen, erfahren eine hohe mediale Aufmerksamkeit. So ist es nur naheliegend, dass sich auch die Zeitschrift „Medien & Altern“ mit einer Schwerpunktausgabe dieses Themas annimmt. Die Beiträge des Heftes umfassen ein breites Spektrum des Konnex Demenz und Medialität – seine thematische Verhandlung im zeitgenössischen Film sowie in den medizinischen Diskursen der Gegenwart bis hin zu konkreten Modellprojekten, die einerseits Möglichkeiten der Aktivierung von Erinnerung aufzeigen und andererseits Anregungen für eine mediale und mithin künstlerische biografische Auseinandersetzung bieten.


Inhaltsverzeichnis

 

Luise M. Holzhauser und Clemens Schwender
Die Visualisierung des Unsichtbaren – Darstellungen und Funktionen von Demenz in Spielfilmen

Zusammenfassung

Spielfilme zeigen Möglichkeiten von Verhalten in diversen Situationen. Bobachtend lassen sich von den Rezipienten Haltungen und deren Folgen mental testen. Filme zeigen also nicht, was ist, sondern behandeln, was wichtig ist. In diesem Kontext ist die Darstellung von Demenz von besonderer Bedeutung, da die Krankheit nicht heilbar ist und immer tödlich endet. Sie ist nicht direkt zu erkennen, da nur das Gehirn und dessen Kapazitäten betroffen sind. Dies erfordert von Spielfilmen Strategien der Sichtbarmachung, die ihrerseits dem kommunikativen Anliegen der Filmproduktion folgen. Anhand einer systematischen Auswahl von Spielfilmen, in denen mindestens eine/r der Protagonisten an Demenz erkrankt ist, werden die narrativen Strukturen untersucht. Ziel ist es festzustellen, welche Haltungen und optionalen Verhaltensweisen Demenz den Zuschauer/innen anbieten kann. 15 Filme, die seit 2001 weltweit produziert wurden, wurden ausgewählt und einzeln und im Überblick zu diskutiert.

Abstract

The visualization of the invisible - depictions and functions of dementia in feature films – Feature films show possibilities of behavior in all situations that one can think of to recognize appropriate action. Observing attitudes and their consequences can be tested mentally. So, movies do not show what is, but deal with what is important. In this context, the presentation of dementia is important because the disease is not curable and always fatal. It is not directly recognizable because only the brain and its capacities are affected. This requires visualization strategies, which in turn correspond to the communicative concerns of movie production. Based on a systematic selection of feature films in which at least one of the protagonists has dementia, the narrative structures are examined. The aim is to determine which attitudes and options dementia can offer to the audience. A wide range of films produced worldwide since 2001 could be selected to discuss them one by one and in context.


David Unbehaun, Konstantin Aal, Daryoush Vaziri, Jasmin Lehmann, Anne Weibert, Rainer Wieching & Volker Wulf
Qualitative Ergebnisse eines Videospiel-basierten Assistenzsystems für Menschen mit Demenz und deren Angehörige

Zusammenfassung

Das Angebot von technischen Assistenzsystemen für Menschen mit Demenz und deren Umfeld ist ein junger und überschaubarer Markt. Dieser bietet aber im Sinne von intelligenten Informationstechnologien ein großes Potenzial für menschenzentrierte und bedarfsgerechte Unterstützung. Durch intelligente Systeme können gezielte und bedarfsgerechte Therapiekonzepte ermöglicht werden, welche sich an die Bedürfnisse von Menschen anpassen. Im folgenden Text wird ein Mobilisierungs-Assistent präsentiert. Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass das System in der Lage ist soziale Interaktion, Beziehungen und Befähigungen von Menschen mit Demenz und ihren Betreuern zu verbessern und die Zielgruppe dabei unterstützt, sich täglichen Herausforderungen zu stellen.

Abstract

Offering help via technical assistance systems for people with dementia and their social surrounding is a young and manageable market, but offers a huge potential for human-centered and needs-based support in the sense of intelligent information technologies. Intelligent systems enable individual and needs-based therapy concepts that adapt to the needs of people with dementia and their caregivers. This paper presents and discusses a mobilization assistant as well as first research results. Results suggest that the system enhanced social-interaction, invigorated relationships, and improved the empowerment of people with dementia and their caregivers to face daily challenges.

 


Tina Drechsel, Nadja Jennewein, Niels Brüggen & Julia Inthorn
Moderne Medizintechnik im Altenheim? –
Ethische Fragen und Partizipation am medialen Diskurs

Zusammenfassung

Der Artikel befasst sich mit der Frage, wie eine Auseinandersetzung über Chancen und Risiken beim Einsatz moderner Medizintechnik sinnvoll geführt werden kann. Zunächst werden hierfür die ethischen Aspekte des Einsatzes von Technologie in der Pflege dargestellt. Anschließend wird das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderte Projekt Moderne Medizintechnik im Altenheim? vorgestellt. Mithilfe der themenzentrierten aktiven Medienarbeit sowie der Kampagnenarbeit wird im Projekt eine solche Auseinandersetzung initiiert. Dabei steht unter anderem die Frage im Fokus, wie die Perspektive von hochaltrigen und dementen Menschen in die Debatte integriert werden kann, um den Betroffen in der Auseinandersetzung eine Stimme zu geben.

Abstract
Medical technology in Nursing homes – ethical aspects and participation in medical discourses
The paper addresses the question how the debate about risks and benefits of the application of medical technology should be structured. Firstly, ethical aspects of the application of medical technology in care are presented. Secondly, the discourse project Medical Technology in Nursing Homes? that is funded by the Ministry for education and research is introduced. Using methods of theme-centered active media work and campaign work such debates are initiated. An aspect that is central for the paper is how the perspective and views of persons of high age and/or with dementia can be integrated in the debate in order to give a voice to affected people in the debate.



Gabriel Kreutzner und Peter Wißmann
KuKuK-TV: Ein digitaler Kanal für Menschen mit und ohne Demenz

Zusammenfassung

Mit seiner Arbeit unterstützt der Demenz Support Stuttgart seit vielen Jahren die Mitsprache und das Wohlbefinden von Menschen mit Demenz und ihrer Begleiter. Handlungsleitend für diese Arbeit sind die Prinzipien Lebensqualität, Selbstbestimmung und Teilhabe. Exemplarisch für diese Philosophie ist das Projekt KuKuK-TV. Es gibt jeder und jedem die Möglichkeit, sich im Rahmen der digitalen Medien zu artikulieren und trotz vorhandener Beeinträchtigungen gleichberechtigt mit anderen zu kommunizieren.


Abstract
KuKuK-TV: A digital channel for people with and without dementia
Summary: With its work, Dementia Support Stuttgart has been supporting the voice and well-being of people with dementia and their companions for many years. The guiding principles for this work are quality of life, self-determination and participation. In this spirit, the project KuKuK-TV makes it for everyone possible to communicate equal in digital media despite impairments.


Katrin Temme & Fabian Chyle
Mind Puzzle – ein multimodaler Zugang zum Thema Demenz

Zusammenfassung
„Mind Puzzle“ ist ein Projekt zur Sensibilisierung für und Diskursivierung von Demenz. Die künstlerische Auseinandersetzung als eine Übersetzungsleistung, die neue Perspektiven eröffnet, wird am Beispiel einer Tanz- und Theaterwerkstatt in Kooperation mit Altenheimen deutlich. Verschiedene Produktions- und Präsentationsformen und künstlerische Medien dienten der Zusammenführung von Impulsen aus Wissenschaft und Praxis, die auf der Website dokumentiert wurden.

Abstract
The project "Mind Puzzle" is a discursive and creative process to raise awareness for dementia. A dance and theater workshop in cooperation with nursing homes illustrates the artistic interaction process as translation service that opens up new perspectives. Various artistic media and forms of production and presentation bring science and practice together which is documented on the website.


Jennifer Kress
Die Nutzung von Smartphones und Tablets durch Senior/-innen –
Wie das mobile Internet in die Lebenswelt älterer Nutzer/-innen integriert ist

Zusammenfassung

Mobiles Internet genießt steigende Beliebtheit und das in allen Altersklassen. Während jüngere Nutzer*innen mit der neuen Technologie aufwachsen, müssen sich ältere Menschen deren Handhabung teils mühevoll aneignen. Im vorliegenden qualitativen Forschungsprojekt wurde der Fokus auf die Smartphone- und Tabletnutzung von amerikanischen Senior*innen gelegt. Im Zentrum des Interesses stand, wie die sogenannten „silver surfer“ das mobile Internet in ihren Alltag integrieren und ob bzw. wie sie es für die zentralen lebensweltlichen Themen von Gesundheit, (Selbst-)Bildung und (interfamiliäre) Kontakt- und Beziehungspflege einsetzen.

Abstract

Mobile internet becomes more and more popular within all age groups. While younger users integrate the new technology in their everyday lives intuitively, the so called “silver surfers” are less experienced in the usage of modern technologies.
The qualitative study examined the use of smartphones and/or tablets by older Americans and how they integrate mobile internet in everyday life areas such as health, (self-) education and (intra-familial) relationships.